Placebo - die Kraft der Erwartung
Placebo - die Kraft der Erwartung
Wie Emotionen unser Nervensystem beeinflussen

Schon der griechische Philosoph und Universalgelehrte Aristoteles sagte: „Lachen ist eine körperliche Übung von großem Wert für die Gesundheit“ [11].
Eine Studie aus dem Jahre 2022, veröffentlicht im Nature Human Behaviour Journal, ergab, dass bestimmte Mimik Glücksgefühle verstärken oder sogar auslösen können. Mithilfe der „Pen-in-mouth“ Methode ahmten die knapp 4000 Teilnehmenden aus 19 verschiedenen Ländern bestimmte Gesichtszüge nach. Nach Absolvierung einiger Aufgaben füllten sie den „Discrete Emotions Questionnaire“ aus, einen Fragebogen zur eigenständigen Erfassung von Emotionen, wodurch die Ergebnisse erfasst werden konnten.
Hierfür verantwortlich ist eine Kombination verschiedener körperlicher Mechanismen. Darunter die Sensorische Rückkopplung, das bedeutet, dass die Muskelaktivität im Gesicht bestimmte Signale an das Gehirn sendet, die dazu beitragen bestimmte Emotionen wahrzunehmen, die interpretativen Prozesse und der Einfluss auf das autonome Nervensystem. Emotionen sind eng mit körperlichen Reaktionen verbunden, sodass körperliche Ausdrucksweisen unbewusst das Nervensystem beeinflussen können [5].
Diese Art von „Austricksen“ des Körpers oder der Psyche kennen wir auch von anderen Effekten und Vorgängen. Mit der Wechselwirkung zwischen Körper und Geist sowie der Kraft der Erwartung arbeitet ebenfalls der Placebo-Effekt.
Der Placebo Effekt und die Kraft der Erwartung

Der Placebo-Effekt ist ein Phänomen in der Medizin und Psychologie, bei dem eine Person durch die Erwartung einer Heilung oder Verbesserung eine tatsächliche Verbesserung ihres Gesundheitszustands erlebt, obwohl die verabreichte Behandlung keine pharmakologisch wirksamen Substanzen enthält.
Das klassische Beispiel ist die Gabe einer Zuckerpille oder eines Placebo-Medikaments, das keinerlei aktive Wirkstoffe enthält, aber dennoch positive Effekte auf die Symptome der Patient:innen hat [6].
Der Placebo-Effekt basiert hauptsächlich auf der Kraft der Erwartung. Wenn eine Person glaubt, dass eine Behandlung wirksam ist, können ihre Überzeugungen und Erwartungen tatsächliche Veränderungen in ihrem Körper hervorrufen [6]. Der Placebo-Effekt geht weit über die bloße Einbildung hinaus, gesund zu werden. Vielmehr handelt es sich um
ein komplexes neurobiologisches Phänomen, das spezifische biochemische und neurologische Reaktionen im Körper auslöst.
Diese Effekte sind mittlerweile durch bildgebende Verfahren und experimentelle Studien gut dokumentiert und zeigen, wie mächtig die Erwartungshaltung des Patienten auf die biochemischen Prozesse im Gehirn und Körper wirken kann [1].
Placebo als natürliches Schmerzmittel

Eine zentrale Rolle spielt die Ausschüttung von endogenen Opioiden, körpereigenen Substanzen, die als natürliche Schmerzmittel wirken. Dies wurde bereits in den 1970er Jahren durch Experimente nachgewiesen, bei denen Patient:innen nach Zahnentfernungen entweder ein Placebo oder das Opiat Naloxon erhielten. Naloxon, ein Antagonist von Opioiden, blockierte den Placebo-Effekt, was beweist, dass der Placebo-Effekt durch die Freisetzung dieser Schmerzhemmer im Gehirn vermittelt wird. Neuere bildgebende Verfahren wie die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) konnten diese Ergebnisse bestätigen und zeigten, dass durch den Placebo- Effekt Opioide im Gehirn freigesetzt werden, die Schmerzen lindern.
Placebo und die Dopaminausschüttung bei Depressionen

Neben den Opioiden spielt auch das Dopamin-System eine zentrale Rolle. Besonders bei Patient:innen mit Morbus Parkinson zeigte sich, dass nach der Gabe eines Placebos vermehrt Dopamin im Gehirn freigesetzt wird. Dies verbesserte nicht nur die motorischen Symptome der Patient:innen, sondern konnte auch in Studien mittels PET sichtbar gemacht werden. Die erhöhte Dopaminfreisetzung veranschaulicht, dass der Placebo-Effekt eine tiefgreifende neurobiologische Wirkung auf das Gehirn hat und nicht nur auf Schmerz- oder Depressionssymptome beschränkt ist, sondern auch neurologische Erkrankungen beeinflussen kann.
Auch bei Depressionen wurde der Placebo-Effekt intensiv untersucht. Studien zeigen, dass Patienten, die ein Placebo erhalten, oft ähnliche Verbesserungen ihrer Symptome erfahren wie diejenigen, die ein echtes Antidepressivum einnehmen. Neurowissenschaftliche Untersuchungen mit Elektroenzephalographie und bildgebenden Verfahren deuten darauf hin, dass die Hirnaktivität in Bereichen, die für Emotionen und Stressregulation verantwortlich sind, verändert wird. Dies weist darauf hin, dass auch bei der Behandlung von Depressionen körpereigene Neurotransmitter und Opioide beteiligt sind, die den Placebo-Effekt verstärken.
Der Placebo-Effekt in der medizinischen Behandlung

Insgesamt verdeutlicht die Forschung, dass der Placebo-Effekt ein mächtiges Werkzeug ist, das biochemische und neurologische Prozesse im Körper beeinflusst. Die Freisetzung von körpereigenen Substanzen wie Opioiden und Dopamin, die Modulation der Hirnaktivität sowie die Beeinflussung der Organfunktionen zeigen, dass der Placebo-Effekt viel mehr ist als nur eine Einbildung. Stattdessen ist er ein realer, messbarer biologischer Prozess, der in vielen medizinischen Behandlungen eine Rolle spielt [8].
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Placebo-Effekts ist der Kontext, in dem die Behandlung stattfindet. Faktoren wie die Art und Weise, wie ein Arzt oder eine Ärztin die Behandlung erklärt, die Vertrauenswürdigkeit der medizinischen Umgebung und die eigene Erwartungshaltung der Patient:innen können den Placebo-Effekt verstärken. So kann eine positive Interaktion mit ärztlichem Personal oder Therapeut:innen das Vertrauen in die Behandlung erhöhen und die Wirkung eines Placebos verstärken [4].
Der Placebo-Effekt in der Naturheilkunde

Der Placebo-Effekt hat nicht nur in der klinischen Forschung Bedeutung, sondern auch in der Anwendung natürlicher Heilmethoden. Der Zusammenhang zwischen Placebo und Homöopathie beziehungsweise Naturheilkunde wird oft diskutiert, da viele Studien darauf hinweisen, dass die Erwartungen und der Glaube an die Wirksamkeit solcher Behandlungen eine zentrale Rolle spielen. Beispielsweise die stark verdünnten Substanzen, die in der Homöopathie verwendet werden, besitzen oft keine messbare pharmakologische Wirkung. Dennoch berichten viele Menschen über positive Effekte.
Auch in der Naturheilkunde wirken ähnliche psychologische Mechanismen. Behandlungen wie Kräuteranwendungen oder Akupressur können die Erwartungen der Patienten stärken und so den Placebo-Effekt auslösen. Besonders das Vertrauen in natürliche Heilmethoden und die langjährige kulturelle Verankerung dieser Methoden tragen zu einer positiven Erwartungshaltung bei [12]. Jedoch ist es wichtig zu beachten, dass Naturheilverfahren oft zusätzlich spezifische physiologische Wirkungen haben. Beispielsweise enthalten viele Heilpflanzen nachweislich aktive Inhaltsstoffe, die den Körper auf biochemischer Ebene beeinflussen. Kräuter wie Johanniskraut besitzen dokumentierte immunstärkende oder stimmungsaufhellende Effekte, die über den Placebo-Effekt hinausgehen [9].
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Placebo-Effekt in der Homöopathie und Naturheilkunde eine wichtige Rolle spielt, jedoch sind bei vielen naturheilkundlichen Ansätzen auch nachweisbare biologische Wirkungen vorhanden, die zu der gesundheitlichen Verbesserung beitragen. Der Erfolg dieser Methoden beruht daher auf einem Zusammenspiel aus psychologischen und physiologischen Effekten [12].
Ein weiteres Beispiel in der Naturheilkunde, ist die Akupunktur. Der Placebo-Effekt und die Akupunktur scheinen eng miteinander verbunden zu sein, doch die Forschung zeigt, dass Akupunktur nicht nur auf einem Placebo-Effekt basiert. Studien wie die ART- und GERAC-Studien haben gezeigt, dass sowohl „echte“ Akupunktur als auch Scheinakupunktur in vielen Fällen ähnliche schmerzlindernde Effekte haben. Dies lässt darauf schließen, dass
der Placebo-Effekt eine Rolle bei der Wahrnehmung der Schmerzlinderung spielt, indem die Erwartungshaltung der Patient:innen die Wirkung verstärkt. Gleichzeitig gibt es jedoch Hinweise darauf, dass Akupunktur auch eine eigene physiologische Wirkung hat, die über den Placebo-Effekt hinausgeht. Akupunktur kann nachweislich die Freisetzung körpereigener Schmerzmittel wie Endorphine und Enkephaline fördern. Diese schmerzlindernden Substanzen werden durch die Nadelung bestimmter Punkte aktiviert und tragen maßgeblich zur Reduktion von Schmerzen bei. Somit kann gesagt werden, dass Akupunktur einerseits von den Erwartungen der Patienten und dem Placebo-Effekt profitiert, andererseits aber auch durch spezifische neurobiologische Mechanismen wirkt, die zur Schmerzlinderung beitragen [10].
Nocebo: Der Gegenspieler des Placebo-Effekts

Als Gegenspieler des Placebo-Effekts wird der Nocebo-Effekt bezeichnet. Der Begriff "Nocebo" stammt ebenfalls aus dem Lateinischen und bedeutet im Gegensatz zur Übersetzung von „Placebo“ – „Ich werde gefallen“ [6] so viel wie "Ich werde schaden" [2]. Dies verdeutlicht, dass dieser Effekt durch die Erwartung eines negativen Ergebnisses ausgelöst wird.
Ein Beispiel dafür ist, wenn ein Patient oder eine Patientin nach der Einnahme eines Medikaments, das keine aktiven oder schädlichen Inhaltsstoffe hat, über Nebenwirkungen klagt, nur weil er/ sie davon überzeugt ist, dass diese auftreten werden.
Auch wenn die Substanz selbst keine negative Wirkung hat, kann die bloße Erwartung von negativen Konsequenzen ausreichend sein, um reale körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Müdigkeit hervorzurufen.
Studien zeigen, dass der Nocebo-Effekt besonders dann stark auftritt, wenn Patient:innen im Vorfeld über mögliche Nebenwirkungen informiert werden. Das bedeutet, dass allein das Wissen um mögliche Nebenwirkungen das Risiko erhöht, diese tatsächlich zu erleben. Auch hier spielt die Kraft der Suggestion eine zentrale Rolle. Ebenso können Medienberichte über bestimmte Gesundheitsgefahren oder die Erfahrungen von anderen Menschen einen Nocebo-Effekt auslösen, indem sie negative Erwartungen schüren [7].
Neurobiologisch betrachtet, aktiviert der Nocebo-Effekt ähnliche Mechanismen wie der Placebo-Effekt, nur in umgekehrter Richtung. Während positive Erwartungen die Freisetzung von Endorphinen und anderen neurochemischen Stoffen fördern können, die das Wohlbefinden steigern, führt der Nocebo-Effekt zu einer Erhöhung von Stresshormonen wie Cortisol. Dieser Anstieg kann negative physiologische Reaktionen auslösen, die die Symptome verstärken oder neue Symptome entstehen lassen [3].
Der Placebo-Effekt - die Kraft der Erwartung
Insgesamt zeigt der Placebo-Effekt, wie eng Geist und Körper miteinander verbunden sind. Auch wenn der dieser oft als „Scheinbehandlung“ bezeichnet wird, zeigt er eindrucksvoll, wie stark die menschliche Psyche in der Lage ist, reale körperliche Veränderungen zu bewirken.

Literatur:
- BMBF. 2024. Placebo-Effekt sichtbar gemacht [online]. Bundesministerium für Bildung und Forschung. https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/placebo-effekt-sichtbar-gemacht-2847.php#:~:text=Dort%20haben%20Wissenschaftler%20um%20Ulrike,Placebo%2DEffekt%20sogar%20sichtbar%20machen. [Accessed 01.10.2024].
- BORCHERS, M. 2018. Placebos, Nocebos und die Bibel. Im Focus Onkologie, 21, 40-40.
- BRAUN, J., TSIAMI, S., BUEHRING, B., KIEFER, D., ANDREICA, I., BARALIAKOS, X. & KILTZ, U. 2020. Biosimilars und der Nocebo-Effekt. rheuma plus, 19, 179-189.
- BUNDESÄRZTEKAMMER 2011. Placebo in der Medizin, Deutscher Ärzteverlag.
- COLES, N. A., MARCH, D. S., MARMOLEJO-RAMOS, F., LARSEN, J. T., ARINZE, N. C., NDUKAIHE, I. L., WILLIS, M. L., FORONI, F., REGGEV, N. & MOKADY, A. 2022. A multi-lab test of the facial feedback hypothesis by the Many Smiles Collaboration. Nature human behaviour, 6, 1731-1742.
- GRAMS, N. 2018. Selbstheilungskräfte und der Placebo-Effekt. Gesundheit!: Ein Buch nicht ohne Nebenwirkungen. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
- HELLER, T. 2015. NOCEBO-EFFEKT. Es kommt auf jedes Wort an. Flörsbachtal, Klecks-Verlag.
- MEISSNER, K. 2022. Placeboeffekte in der Medizin. Chinesische Medizin / Chinese Medicine, 37, 127-137.
- MILLS, S. & BONE, K. 2000. Principles and practice of phytotherapy. Modern herbal medicine.
- MUSIAL, F., TAO, I. & DOBOS, G. 2009. Ist die analgetische Wirkung der Akupunktur ein Placeboeffekt? Der Schmerz, 23, 341-346.
- SCHULZ, C. 2024. Aristoteles Zitate – 36 inspirierende Weisheiten und Sprüche des griechischen Philosophen [online]. CareElite. https://www.careelite.de/aristoteles-zitate-sprueche-weisheiten/ [Accessed 18.10.2024 2024].
- SHANG, A., HUWILER-MÜNTENER, K., NARTEY, L., JÜNI, P., DÖRIG, S., STERNE, J. A., PEWSNER, D. & EGGER, M. 2005. Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet, 366, 726-32.
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